Was bedeutet es, wenn dein Partner fremdgeht, laut Psychologie?

Untreue ist eines der komplexesten psychologischen Phänomene in Beziehungen. Während die meisten Menschen nach einfachen Erklärungen suchen, zeigt die moderne Psychologie, dass hinter Fremdgehen oft tieferliegende psychische Mechanismen stecken, die wenig mit dem Partner zu tun haben. Narzissmus, Bindungsangst und unverarbeitete Traumata spielen dabei eine entscheidende Rolle.

Der erste Schock: Liebe macht Untreue nicht unmöglich

Hier kommt die erste verstörende Wahrheit: Die meisten Menschen, die fremdgehen, lieben ihren Partner tatsächlich noch. Klingt verrückt? Die renommierte Paartherapeutin Esther Perel hat in ihrer Forschung herausgefunden dass Untreue meist ein verzweifelter Versuch ist, emotionale Löcher zu stopfen – der Hunger nach Anerkennung, der Wunsch nach Aufregung oder der panische Versuch, vor echter Intimität wegzulaufen.

Eine große Metaanalyse von McNulty und Widman aus dem Jahr 2014 brachte etwas richtig Interessantes ans Licht: Menschen mit narzisstischen Persönlichkeitszügen gehen statistisch signifikant häufiger fremd. Das bedeutet nicht, dass jeder Fremdgeher ein Vollblut-Narzisst ist, aber die Verbindung ist da – und sie erklärt eine Menge über die Psychologie der Untreue.

Das hungrige Ego: Wie Narzissmus zu Untreue führt

Menschen mit ausgeprägten narzisstischen Zügen haben ein Problem, das so absurd ist, dass es fast schon wieder tragisch wird: Ihr Selbstwertgefühl ist wie ein Smartphone-Akku, der permanent leer ist. Sie brauchen ständig neue „Likes“ für ihr Ego, um zu funktionieren.

In den ersten Monaten einer Beziehung ist das kein Problem. Da bekommst du noch täglich gesagt, wie toll du bist. Aber nach zwei Jahren Beziehung hörst du eher: „Kannst du bitte die Spülmaschine ausräumen?“ als „Du bist der gottgleichste Mensch, den ich kenne!“ Für das narzisstische Gehirn ist das wie eine existenzielle Krise.

Die Lösung? Eine Affäre. Neue Person, neue Bewunderung, neuer Ego-Boost. Es geht nicht wirklich um Sex oder Gefühle – es geht um die verzweifelte Suche nach der nächsten Dosis Bestätigung. Studien zeigen, dass Menschen mit hohem Narzissmus das Bedürfnis nach Bewunderung buchstäblich durch Affären kompensieren. Sie zerstören genau das, was ihnen eigentlich Sicherheit geben könnte.

Bindungsangst: Wenn Liebe zur Panikattacke wird

Jetzt wird es richtig verrückt: Manche Menschen gehen fremd, gerade weil ihre Beziehung perfekt läuft. Das ist kein Witz – das ist Psychologie pur. Menschen mit Bindungsangst haben oft als Kinder gelernt, dass emotionale Nähe gefährlich ist. Vielleicht hatten sie unberechenbare Eltern oder haben früh traumatische Verlusterfahrungen gemacht.

Wenn die Beziehung zu schön wird, zu vertraut, zu real, schlägt ihr inneres Alarmsystem an: „ACHTUNG! Du wirst verletzlich! Das ist lebensgefährlich!“ Um diese unerträgliche Angst vor Intimität loszuwerden, sabotieren sie die Beziehung – durch Untreue.

Studien zu Bindungsverhalten bestätigen: Menschen mit ängstlich-vermeidendem Bindungsstil berichten häufig, dass sie emotionale Nähe als belastend empfinden und durch Untreue bewusst Distanz schaffen. Es ist wie ein emotionaler Fluchtreflex. Sie rennen vor dem weg, was sie eigentlich am meisten wollen, weil sie es nicht aushalten können.

Traumata: Wenn die Vergangenheit die Gegenwart kapert

Eine Studie von Lewandowski und Kollegen identifizierte etwas richtig Düsteres: Menschen mit unverarbeiteten Traumata aus der Kindheit – Vernachlässigung, Missbrauch, emotionale Gewalt – haben ein drastisch erhöhtes Risiko für selbstzerstörerisches Verhalten. Und Untreue ist oft Teil davon.

Diese Menschen entwickeln eine toxische Grundüberzeugung: „Ich verdiene kein Glück.“ Wenn das Leben zu gut läuft, wird das unerträglich. Also sabotieren sie es selbst, bevor es jemand anders tut. Untreue wird zur Selbstbestrafung – ein Weg zu beweisen, dass sie tatsächlich „schlecht“ sind.

Das Verrückte dabei: Sie handeln nicht aus Bösartigkeit, sondern aus einer tief verwurzelten Überzeugung heraus, nicht liebenswert zu sein. Die Affäre bestätigt dann ihre negative Selbstsicht: „Siehst du? Ich bin wirklich ein mieser Mensch.“

Emotionale Taubheit: Wenn das Leben grau wird

Hier kommt ein Phänomen, das richtig abgefahren ist: emotionale Taubheit. Manche Menschen leben in einer Welt, in der alles grau und flach wirkt. Nichts fühlt sich mehr richtig an – weder Freude noch Trauer noch Liebe. Fachleute nennen das Anhedonie, und es tritt oft bei Depressionen auf.

Für Menschen in diesem Zustand wird Untreue zu einer Art Droge. Das Geheimnis, die Aufregung, das schlechte Gewissen, das Adrenalin – all das erzeugt endlich wieder intensive Gefühle in einer ansonsten emotionslosen Welt. Es ist nicht die andere Person, die sie wollen, sondern das Gefühl, überhaupt wieder etwas zu spüren.

Die klinische Forschung beschreibt das als „emotionale Selbstmedikation“ – ein verzweifelter Versuch, innere Leere durch riskantes Verhalten zu füllen, anstatt professionelle Hilfe zu suchen.

Rache: Wenn Wut zur Obsession wird

Manchmal ist Untreue auch pure, ungefilterte Rache. Nicht die spontane „Ich bin sauer“-Wut, sondern tiefe, jahrelang aufgestaute Rage. Diese Menschen fühlen sich in ihrer Beziehung unsichtbar, unverstanden oder unterdrückt. Aber anstatt das Problem direkt anzusprechen, verwandeln sie ihre Wut in eine Waffe: die Affäre.

„Du ignorierst mich seit Jahren? Dann verletze ich dich auf die schlimmstmögliche Art.“ Studien in der Paartherapie-Forschung bestätigen, dass destruktives Beziehungsverhalten oft Ausdruck unterdrückter, chronischer Frustration ist. Es ist emotionale Kriegsführung – und am Ende verlieren alle.

Das Selbstwert-Paradox: Zu kaputt für Liebe

Menschen mit chronisch niedrigem Selbstwertgefühl stehen vor einem unmöglichen Dilemma: Sie wollen geliebt werden, glauben aber gleichzeitig nicht, es zu verdienen. Wenn der Partner sie liebt, muss mit ihm etwas nicht stimmen – schließlich ist man selbst ja „wertlos“.

Die perfide Logik dahinter: „Wenn mein Partner wirklich wüsste, wer ich bin, würde er mich sofort verlassen. Also gehe ich lieber fremd – dann habe ich einen echten Grund dafür, nicht geliebt zu werden.“ Es ist eine selbsterfüllende Prophezeiung, die in der Forschung zu Selbstverifikationstheorie dokumentiert ist. Sie zerstören die Beziehung, um zu beweisen, dass sie der Liebe nicht würdig sind.

Wann wird es wirklich problematisch?

Hier kommt der wichtige Reality-Check: Diese psychologischen Erklärungen sind genau das – Erklärungen, keine Entschuldigungen. Untreue bleibt verletzend und schädlich, egal was dahintersteckt. Aber das Verstehen der Mechanismen kann helfen, sowohl für den betrogenen Partner als auch für den Untreuen selbst.

Professionelle Hilfe wird dringend empfohlen, wenn diese Muster erkennbar werden:

  • Wiederholte Untreue trotz echter Reue und Vorsätze
  • Extreme emotionale Schwankungen zwischen Nähe und Distanz
  • Unfähigkeit, echte emotionale Intimität zuzulassen
  • Selbstsabotage in verschiedenen Lebensbereichen, nicht nur in Beziehungen
  • Anhaltende Gefühle von innerer Leere oder emotionaler Abstumpfung

Der Weg raus: Heilung ist verdammt hart, aber möglich

Die gute Nachricht in diesem Chaos: Diese psychologischen Muster sind nicht für immer in Stein gemeißelt. Mit der richtigen therapeutischen Unterstützung können Menschen lernen, ihre emotionalen Wunden zu heilen und gesunde Bewältigungsstrategien zu entwickeln.

Für narzisstische Tendenzen gibt es spezialisierte Therapieansätze, die helfen, ein stabileres Selbstbild aufzubauen. Bindungsängste können durch Trauma-Therapie behandelt werden. Unverarbeitete Verletzungen aus der Vergangenheit lassen sich aufarbeiten, auch wenn es Jahre dauert.

Der Schlüssel liegt darin, Untreue als Symptom zu verstehen, nicht als das eigentliche Problem. Wenn man nur das Verhalten bekämpft („Ich schwöre, ich gehe nie wieder fremd“), ohne die tieferliegenden Ursachen anzugehen, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass die Selbstzerstörung in anderer Form wiederkehrt.

Was das für uns alle bedeutet

Diese Erkenntnisse verändern unseren Blick auf Beziehungen grundlegend. Statt Untreue nur moralisch zu verurteilen, können wir sie als rotes Warnsignal verstehen – ein Hinweis darauf, dass in der Beziehung oder bei einem der Partner etwas Wichtiges professionelle Aufmerksamkeit braucht.

Das bedeutet nicht, dass man Untreue akzeptieren oder tolerieren sollte. Aber es bedeutet, dass echte Heilung möglich ist, wenn beide Partner bereit sind, die wirklichen Probleme anzugehen – mit professioneller Hilfe.

Forschung zu Paartherapie und Einzeltherapie zeigt: Die Behandlung von narzisstischen Tendenzen, Bindungsproblemen und Trauma-Folgen ist nachweislich erfolgreich, wenn die Betroffenen bereit sind, sich dem Prozess zu stellen.

Am Ende des Tages sind wir alle Menschen mit unseren psychischen Altlasten. Manche davon sind schwerer als andere, und manchmal brauchen wir professionelle Hilfe beim Auspacken. Das macht uns nicht zu besseren oder schlechteren Menschen – aber vielleicht zu bewussteren.

Und das könnte der erste Schritt zu Beziehungen sein, in denen Untreue nicht mehr als verzweifelte Bewältigungsstrategie nötig ist, sondern in denen Menschen lernen, ihre Bedürfnisse auf gesunde Weise zu erfüllen.

Welcher psychologische Abgrund steckt deiner Meinung nach oft hinter Untreue?
Bindungsangst
Narzissmus
Trauma
Selbsthass
Rache

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